Kirche der Zukunft – Abschied von der Vergangenheit
„Ich weiß es nicht“ antwortet einer aus der kirchlichen Chefetage auf die Frage nach der Zukunft von Kirche. Mich beruhigt die Antwort, obwohl die Antwort unbefriedigend klingt. Aber: Ein konkreter Zukunftsplan ist reizvoll. Er ist aber erstens unrealistisch und zweitens ist Kirche mehr und anderes als klare Voraussagen.
Die Zukunft der Kirche hängt von Jesus ab. Von Gottes Geisteskraft. Sie schafft und lenkt, bewahrt und ändert. Natürlich macht sie das nur mit uns, die wir aus Jesu Geist Glaube in der Kirche mit-gestalten. „Unser Teil“ hängt allerding davon ab, was wir mit der Kirche beabsichtigen, welche Bilder von Glauben, Kirche, Welt, Gesellschaft usw. wir in uns tragen, welche Erfahrungen uns prägen und motivieren.
Ich habe meine eigene und natürlich begrenzte Sicht. Ein paar Gedanken von mir:
Kirche geht weiter. Aber anders. In einer anderen Gestalt. Das ist der Lauf der Dinge, auch des Glaubens und der Kirche. Ich glaube mit der ganzen Christenheit, dass Kirche nie untergeht, dass Gott bleibt und Jesu Geist in Ewigkeit wirkt.
Ich glaube auch: Was wir lange gewohnt waren, was richtig gut war und in die Zeit gepasst hat, funktioniert nur noch begrenzt. Ich spreche von der sog. Volkskirche in Deutschland. Das ist eine Form von Kirche, in der viele in Kirche und Gemeinde mitmachen (sollen). Es ist die Kirchen-Gemeinde als Pfarr-Gemeinde. Seit den 70er-Jahren haben wir Kirche stark als Heimat erlebt, als Familie mit dem Pfarrer an der Spitze, die „Pfarrfamilie“ oder „Pfarrgemeinde“. Alle Menschen bekamen ihre Angebote, Gruppen fanden, es gab verschiedene Aktivitäten. Für alle Situationen und Ereignisse war das Richtige da. Da bedeutet Christsein: zur Pfarr-Familie gehören und in ihr was tun. Das hat die meisten von uns geprägt. Viele sagen und denken heute nämlich: Damals haben wir Kinder- und Familiengottesdienste aufgebaut, die Kirche war voll. Kinder- und Jugendgruppen sind entstanden, Gesprächskreise gewachsen, Besuchsdienste haben viele älteren Menschen erreicht usw. Ich nehme wahr: Weniger Ehrenamtliche wollen das tun und sich binden, also gibt es weniger Menschen, die Besuche oder Gruppen am Laufen halten. Gleichzeitig sinken die Ansprüche, um es so auszudrücken: Immer weniger Menschen wollen z.B. Besuche zum runden Geburtstag oder zum Ehejubiläum. Kinder für den Kindergottesdienst begeistern ist schwer, ihre Eltern haben es selbst nicht so mit dem Kirchgang, Gesprächskreise locken keine Massen. Natürlich gibt es noch gläubige Christen und kirchliche Engagierte und Interessierte. Aber sie bestimmen selbst, was sie mit welchen Zeitaufwand und in welche Intensität wollen. Das heißt: Immer weniger und immer seltener wollen sich Gläubige eng und verlässlich an eine Kirchengemeinde binden, auch wenn die Volkskirche so viel Lebendigkeit und Gleichberechtigung erreicht hat.
Was in unserer sog. Säkularisierung oder Postmoderne erschwerend hinzukommt: Viele Menschen sind nicht mehr „irgendwie“ oder außerhalb der Kirchen religiös, sondern gar nicht mehr. Glaube und Religion ist für sie keine Option. Sie brauchen keinen „Halt“ von oben oder ein ewiges Leben, keine Taufe oder kirchliche Beerdigung. Nichts. Das sollten wir uns eingestehen finde ich: Kirche wird zahlenmäßig weniger und Religion insgesamt unbedeutender. Kirchen, religiöse Einrichtungen allgemein, werden ein überschaubarer Teil zumindest im westlichen Teil Europas-
Viele von uns tun sich schwer mit dieser Aussicht. Ich finde es darum hilfreich, sich selbst zu fragen, wie ich mir Gemeinde wünsche, ob ich mich sehr oder nur an das halte, wie es früher war, wo nicht alles besser, aber halt vieles anders war – als heute. Als Kirche haben wir einerseits Jesu Zusage, die gut tut, aber auch provoziert: Wir können nicht zu allem Ja und Amen sagen. Auf der anderen Seite haben wir den Auftrag, das Evangelium ins Leben der Menschen hinein anzubieten und zu übersetzen. Kirche, ob als Verband, Einrichtung, Gemeinde, soll „sich den Menschen in den Weg stellen“ habe ich gelesen. Wir werden im Lebensbereich der Menschen und der Gesellschaft mitmischen, aber Menschen nicht so sehr „eingemeinden“. Wir tun das schon z.B. durch Religionsunterricht, kirchliche Kindergärten, wo wir nicht nur die im Blick haben, die sich verbindlich und dauerhaft in eine christliche Gemeinde einbringen wollen, sondern auch interessierte, suchende oder einfach Menschen. Vielleicht werden wir – wir fangen ja nicht bei Null an – noch kreativer: z.B. Gottesdienste an anderen Orten, auf andere Art, bei anderen Anlässen mit anderen Menschen feiern wie die „R-Auszeit“; Taufen oder Beerdigungen, wo sie noch gewünscht werden, persönlich, individuell und situationssensibel begleiten und gestalten, weniger „kirchen-nachwuchs-rekrutierend“; gemeinsame Aktivitäten mit Vereinen unternehmen, sich bei Veranstaltungen, Formaten wie der Gartenschau einbringen, wo das „Draußen“ und „Drinnen“ zwischen Kirchengemeinde und dem persönlichen und gesellschaftlichen Leben der Menschen fließt. Auch unser Kommunionweg ist ein Beispiel, jungen Familien ein Stück ihres Lebensweges als Glaubensweg anzubieten, indem wir Erfahrungen kommen oder machen lassen, die Raum für den Glauben öffnen, was dann in der Gemeinschaft erlebt und im Gottesdienst gefeiert wird. Auch das „ökumenische Mittagessen“ oder die „ökumenische Vesperkirche“ sind solche öffnende und einladende Momente. Das schließt künftige Aktivitäten im „klassischen“ gemeindlichen Leben ein und will es wertschätzen: von der Arbeit der Minis über Pfadis bis hin zu Seniorenkreisen.
Mich beschäftigen Gedanken, die ich gelesen habe: Die wichtigste Frage sei demnach nicht „Wie lebendig sind wir?“, sondern: „Wen schließen wir aus?“ Wir werden auch künftig rein menschlich und praktisch weiterhin Leute ausschließen, aber es verschiebt unsere Haltung: In der Kirche(ngemeinde) bietet sich ein offener Raum, der Bewährtes erhält und Neues probiert für Menschen und mit ihnen, oft auf bestimmte Menschen und Situationen zugeschnitten, häufig auf bestimmte Zeit, z.B. unsere Projektchöre – und immer freiwillig und als Angebot. Ziel ist, Menschen mit Jesu guter Nachricht kreativ in Berührung zu bringen. Das bedeutet viel Vernetzungsarbeit bei gleichzeitiger Beachtung, wie viel Bereitschaft und Menschen es dafür gibt. Und oft genug werden wir Jesu Evangelium in den Menschen, auch den sog. „Fernstehenden“, entdecken, wenn nicht gar darüber staunen. Gott sei´s gedankt und seiner Kirche – die eben Jesu Kirche ist.
Pfarrer Wolfgang Braun