WER BRAUCHT GOTT AUF DER ERDE?

Warum ist Gott auf die Erde gekommen? Man darf so fragen. Denn es ist schwer zu verstehen mit dieser Geburt: Ein richtiger Mensch und ein richtiger Gott soll Jesus sein; und das in einer so außergewöhnlichen Art, dass das in der Geschichte keinem weiteren Menschen passiert? Zum anderen entstand mit dem Jesus-Glaube eine neue Religion, was zu Abgrenzung und Konflikten geführt hat – und das bis heute.

Es könnte vielleicht besser und einfacher sein, an Gott zu glauben, der seine Einzigartigkeit zeigt, wenn er als Geheimnis „im Himmel oben“ bleibt und auf andere Weise sich zeigt.

Ich kann die Fragen natürlich nicht beantworten. Das kann niemand.

Meine Art, damit umzugehen, ist die: Jeder Mensch sucht sein Bestes im Leben. Er sucht sein Glück und einen Sinn. Er will die Welt verstehen oder erklären, zumindest seinen Platz im Ganzen finden. Was ich für jeden Menschen behaupte: Er will einzigartig und unverwechselbar sein. Individuell. Übersetzt: Unteilbar. Den kann man nicht noch anders machen. Aus diesem Grund bemühen wir uns, einen guten Eindruck zu machen, wollen besondere Leistungen bringen um uns gut darzustellen, zu performen. Wir fühlen uns bestimmten Gruppen, Cliquen, Milieus oder Szenen zugehörig. Heutzutage haben aber viele das gegenteilige Gefühl: Ich gehe unter im großen Ganzen, in der Vielseitigkeit, dem Allerlei und der Beliebigkeit der Gesellschaft, ja der Welt.

Erlösung kommt von oben

Im Grunde genommen suchen wir die Lösung dafür, dass unser Leben gut wird, etwas, das mit unserer Art und Erwartung übereinstimmt. Wir wollen als einzigarte Persönlichkeiten Sinn und Ausrichtung finden. Vielleicht kann man sagen: Wir suchen die Lösung für unseren „richtigen“ Lebensentwurf. Diese Suche ist eine Suche nach Erlösung. Wir suchen Erlösung von allem, was uns an unserem Leben und unserer einzigartigen Berufung hindert. Wir suchen Erlösung, die uns zum Leben führt, das zu uns passt.

Die erlösende Hilfe dazu kommt von „oben“. Das ist christlicher Glaube. Ein Weihnachtsglaube. Er bedeutet: Gott kommt auf die Erde – so glauben Christen – um sich selbst zu zeigen, zu „outen“. Ich finde, das ist ein einzigartiger Schritt Gottes. Wenn er sich in einen konkreten Menschen ganz dicht hinein-gibt, ist er beim Menschen angekommen. Darin sehe ich den geglückten Versuch Gottes, mit uns auf unnachahmliche Weise Beziehung aufzunehmen. Mit jeder und jedem von uns. So unverwechselbar und einzig-artig wie jeder von uns ist und sein möchte.

Aber wie können wir Beziehung zu Jesus aufnehmen? Kann das eine Beziehung von Mensch zu Mensch sein, gleich-wertig und auf Augenhöhe? Man muss doch zugeben: Jesus ist „mehr“ oder „höher“ als wir. Da lebt zwar ein Mensch, aber das Göttliche ist in ihm so unnachahmlich und einzigartig. Das entfernt uns doch von Jesus. Diesen Abstand zwischen sich und uns Normalsterb-lichen hat Jesus überwunden: Er verlässt seine Sonderrolle und Einzigartigkeit und geht auf uns zu. So wie es in der Bibel steht: im wertschätzenden Ansehen Benachteiligter, in der Sündenvergebung, in der Heilung. Er schenkt sich uns sagen wir. Weil Gott uns, der in Jesus „steckt“, so einzigartig und persönlich begegnet, bestärkt das unsere Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit. So ist jede Beziehung eines Menschen zu uns und umgekehrt etwas, das unsere unverwechselbare Einzigartigkeit berührt und erneuert, uns Sinn und Richtung gibt oder einfach bestätigt: Du darfst sein. Wie gut, dass es dich gibt. Wo sich mir ein Mensch schenkt und wo ich mich einem anderen schenke, darf sich das ereignen.

Wir dürfen mit der Bibel sogar an eine Form der Liebesgeschichte anknüpfen: An einer Stelle lesen wir, dass der Jünger Johannes an der Brust Jesu ruht wie Jesus an der Brust des himmlischen Vaters (Joh 13,23). Da lebt eine intime Freundschaft im besten Sinne des Wortes auf.

Das dürfen wir im Glauben und Vertrauen wagen. Das können wir so konkret und sinnlich erfahren. Mitten im Menschlichen und Weltlichen empfangen wir einzigartig und intim die Liebe und das Geschenk des weiten Gottes, der in Jesus in die Menschenwelt hineingeboren wird. Gesegnete Weihnachten.

Pfarrer Wolfgang Braun